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Erscheinungsdatum 28.05.2004
Einsame Liebe
Der Alleinunterhalter Ralf Simon nimmt
seinen Job ernst und die Stimmung seines Publikums musikalisch auf
VON PETRA MIES
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Der Mann am Keyboard lächelt. Das
muss er auch. Wer andere ernsthaft unterhalten will, darf keine Grimasse
ziehen. Immer schön lächeln, immer vergnügt den richtigen Ton treffen, stets
den passenden Titel auswählen. Stimmungen der Menschen im Saal erfassen, ihre
Wünsche erfüllen und sensibel die Dramaturgie eines Festes wahrnehmen, um sie
mitzugestalten: Ralf Simon, an diesem Abend "Ralf and his
1-Man-Band", kann es.
Begleitautomatik läuft, Ton ab. Während die dreißig Gäste an den U-förmig
aufgestellten Tischen Entenbrustterrine an Salatbukett essen, singt der Solist
"Lady in Red". Eher verhalten, wie es sich für Dinnermusik gehört.
Die Menschen speisen und plaudern. Zur Entenbrustterrine tanzt niemand auf dem
Tisch.
Musik aus dem Hängeregister
Der Anwalt Bernd Reichelt und die kaufmännische Angestellte Cornelia Jetzt-auch-Reichelt haben am frühen Nachmittag in der
katholischen Paulskirche im hessischen Hanau-Großauheim
geheiratet. Zur Feier ist die Hochzeitsgesellschaft nach Alzenau gefahren,
bereits Bayern. Vor der "Villa Meßmer"
parken ihre Autos unter hohen Bäumen. Den Wagen des Brautpaares ziert ein Kranz
auf der Kühlerhaube. Innen, im holzvertäfelt-vornehmen
Ambiente, hat es Campari-O, Prosecco-Aperol,
Torte und Häppchen zum Empfang um halb vier gegeben. Und "Ballade pour
Adeline" vom Alleinunterhalter. "Damit", sagt Ralf Simon,
"steige ich oft ein." Und: "Danach ist alles offen."
Die Braut hat den Musiker aus Darmstadt-Eberstadt im Internet gefunden. Seine
Homepage mit Hörproben hat ihr gleich gefallen. Einen Disc-Jockey zu
engagieren, wie es bei Hochzeiten weit verbreitet ist, "das wollten wir
nicht", sagt Cornelia Reichelt. "Es ist doch schöner, wenn jemand zum
Instrument greift." Eine Hochzeit vereine alle Altersklassen, "da
muss die Musik ein breites Spektrum abdecken".
Simon, schwarze Hose, silber-grünliches Seidenhemd, Seitenscheitel, hat
fünfhundert Titel aller Stilrichtungen drauf. Sein Repertoire reicht
alphabetisch von "A good heart" bis zu
"Zucker im Kaffee". Auch bei der Reichelt-Hochzeit liegen
Wunschlisten aus. Die Noten, in Hängemappen sortiert nach Samba, Rumba, Beat,
Tango, Walzer und anderen Stilen, zieht der Musiker aus Hänge-Registern.
Die Band des 44-Jährigen, das ist die elektronische Begleitautomatik seines
Keyboards. Im Gegensatz zu anderen Alleinunterhaltern, "die nur noch auf
die Start-Taste drücken", legt Simon jedoch Wert darauf, dass er auch
immer selbst die Musik macht. Wenn er am Keyboard sitzt, spielt er tatsächlich
und singt dazu. Seine anderen Instrumente ermöglichen ohnehin kein So-tun-als-ob: Klarinette, Tenor-Saxophon, Alt-Saxophon,
Panflöte, Steel Drum und Okarina, eine weiß-blaue
Porzellan-Schnabelflöte aus Peru.
Die erste
Kurz nach neun. Das Brautpaar am Kopfende der Tafel hat Jäckchen und Sakko
abgelegt, einige Frauen haben die Hochhackigen unter den Tischen abgestreift.
Mit Lachsfilet und diesmal gebratener Entenbrust sind Gang zwei und drei
verspeist. Simon, der Keyboard, Anlage, Boxen und Scheinwerfer im Eck aufgebaut
hat ("passt alles in meinen Kombi"), spielt nach wie vor Dinnermusik.
Mal im Stehen, wenn er "El Condor Pasa" mit der Panflöte, "My Way" mit dem
Saxophon und andere Blasinstrumenten-Stücke vorträgt. Dann wieder im Sitzen,
als singender Keyboarder. In dieser Fest-Phase wechselt er bei jedem Song seine
Position.
"Music was my first love" - den John-Miles-Titel intoniert Simon
inniglich. "Es
ist das Lied meines Lebens, Musik war wirklich meine erste Liebe." Sein
Vater brachte ihm die ersten Melodika-Töne schon im
Kindergartenalter bei, mit zehn bekam er Klavier- und Klarinetten-Unterricht an
der Musik-Akademie. Nach Auftritten im Familienkreis spielte er mit siebzehn
erstmals öffentlich auf einem Feuerwehrfest: In der Band "Tornados",
mit seinem Vater, seinem Patenonkel und dessen Sohn. "Zwei Väter, zwei
Söhne, das hat Spaß gemacht."
Nachdem seine zweite Band "Jet Set", ein Tanz- und
Unterhaltungs-Sextett, immer weniger Aufträge bekam, beschloss Simon vor
vierzehn Jahren, allein aufzutreten. "Wer verpflichtete damals, wer
verpflichtet heutzutage schon noch eine sechsköpfige Band?" fragt er.
"Außerdem sagte ich mir angesichts der immer ausgefeilteren
Keyboard-Elektronik: Wenn die Alleinunterhalter sein können, die zehn Finger
und zwei Füße haben und ansonsten nur den Startknopf drücken, muss ich mit
meiner fundierten Ausbildung das erst recht hinbekommen."
Es gelang ihm, indem er Elektronik für den vollen Sound einer Band mit
handgemachter Musik kombinierte. Auf die Mischung aus handgemachter Live-Musik
und PC-Konserve setzt er bis heute. "Die Geräte sind seither immer kleiner
geworden, die Elektronik ist auf Mini-Bauteile unter der Tastatur
zusammengeschrumpft", sagt er. "Das Ding spielt auch von ganz
alleine, weshalb schwer zu beurteilen ist, wenn heute einer am Keyboard sitzt,
was er musikalisch wirklich drauf hat." Simon mogelt nicht faul. "Da
könnten die Leute auch einen Disc-Jockey engagieren."
Eineinhalb Stunden Aufbau, eineinhalb Stunden Abbau. Anfahrt, Abfahrt und das
Ein- und Ausräumen des Wagens kommen hinzu. Damit sich der Aufwand lohnt, nimmt
Simon nur Aufträge an, bei denen er mindestens fünf Stunden spielen soll. So
ist es auch bei der Hochzeit in Alzenau, wo er bis ein Uhr engagiert ist.
Mindestens.
Traum von der Kreuzfahrt
Das Fest nähert sich gerade der für den Alleinunterhalter aufregenden Phase.
Das Dessert ist aufgetischt, Panna Cotta mit frischen
Früchten. Nach dem Dessert soll der Tanz beginnen. Zum Nachtisch trägt Simon
"Imagine" am Keyboard vor - sitzend.
"Butterfly" mit der Panflöte - stehend. "Englishman
in New York" - wieder am Keyboard sitzend. Dinnermusik ist bei ihm ein Auf
und Ab. Löffelgeklapper, leises Lachen, keine Spielchen und Festvorträge.
Obwohl die Kellnerinnen immer wieder weißen und roten Wein nachschenken,
verläuft die Hochzeit eher ruhig. Woran Simon mit seiner Musik weder etwas
ändern kann noch will: "Es ist das Fest des Paares und seiner Gäste, und
was sie sich wünschen, zählt für mich." Applaus hat er auch schon hin und
wieder bekommen. Und ins Mikro erwidert: "Danke, ich wünsche weiterhin
guten Appetit."
Simons Sound klingt klar, seine Singstimme hoch. Sein Outfit erinnert an einen
Sonnyboy der achtziger Jahre, die Disco-Titel dieser Zeit "mag ich auch
besonders gern". Er, der selbst so gerne tanzt, war damals oft mit seiner
Frau auf der Piste.
Die Musik, seine erste große Liebe, war nie sein Hauptberuf. Der
Diplom-Mathematiker, der lange in der Datenverarbeitung arbeitete, hat sich vor
einem Jahr als Berater selbstständig gemacht. Keine festen Arbeitszeiten mehr
zu haben ermöglicht dem Wasser-Fan vielleicht einen Traum: "Ich würde sehr
gerne ein paar Wochen lang auf einem Kreuzfahrtschiff spielen."
Gut vorstellbar. Die Stammklientel auf Schiffen ist wie auch die seiner
Alleinunterhalter-Engagements eher älter. Simons Repertoire aus den vergangenen
vier Jahrzehnten bedient klanglich auch die Jugendzeit älterer Zuhörer.
"Und Lieder ihrer Jugend wollen die Leute hören."
Jetzt aber: Die Dessert-Teller in der Villa Meßmer
sind abgeräumt und die Gäste mit kleinen Kindern schon gegangen. Jetzt kann der
Tanz beginnen. "Ich hoffe, dass sie so viel tanzen wie sie essen, ich
wollte sagen gut." Simon hat die Scheinwerfer auf Rot gestellt, als er den
Scherz macht. Mit einem English Waltz hat sich das
Brautpaar einen rhythmisch anspruchsvollen Eröffnungstanz gewünscht. "Der
Titel ist ,Moon River' ", kündigt Simon an. Nach den ersten Tanzschritten
der ganz in Weiß gekleideten Frau und ihres Mannes gesellen sich weitere Paare
hinzu.
Tulpen im Blaulicht
"Fangen wir mit einer ruhigen Runde an." Ralf Simon blickt
aufmunternd. Das Publikum öfter anzusprechen, mehr am Keyboard zu singen und
mehrere Stücke hintereinander anzumoderieren - so gestaltet er den Tanzteil des
Abends im Unterschied zur Dinnermusik. Nächste Ansage, diesmal im Blaulicht:
"Ein Herr hat sich ,Tulpen aus Amsterdam' gewünscht, um mit der Braut zu
tanzen." Cornelia Reichelt rafft die Röcke.
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"Bälle und Tanzveranstaltungen
gibt es immer seltener, Geburtstage, Hochzeiten und Silberhochzeiten bleiben
logischerweise, solche Privatfeiern sind nach wie vor meine
Hauptaufträge." Weil sie sich an Wochenenden ballen, wünscht er sich
manchmal mehr Engagements an Wochentagen. Klassik in der Kirche oder Volksmusik
mit der Trachtenkapelle im österreichischen Montafon,
wo er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern oft Urlaub macht, alles drin
für Simon: "Ich bin musikalisch flexibel, drücke niemand meine Vorlieben
auf oder spiele ein Programm herunter, komme, was da wolle." Die Goldkette
an seinem Handgelenk klirrt leise. "Musik macht mir dann Spaß, wenn die
Leute mitgehen."
Die One-Man-Band blickt ernst. "Das muss man
sich mal vorstellen: Sechs, sieben Stunden und länger ein Publikum zu
unterhalten, ohne rausgeschmissen zu werden, und zwar allein. Es kann schon
sehr schwierig sein, da den richtigen Bogen zu spannen." Bei reinen
Tanzveranstaltungen bekommt er umgehend ein Feedback, "wenn die Leute auf
die Tanzfläche gehen oder nicht".
Einpacken auf der Kerb
Sein schlimmster Auftritt war auf einer Kerb, als die Anlage nicht reichte, um
das ganze Zelt zu beschallen. "Das war furchtbar. Es gehört zu meinen
Hauptängsten, dass irgendwas an der Technik nicht funktioniert, ich kann doch
nicht alles doppelt einpacken."
Hochzeiten können sich schwierig gestalten und wegen der langen Essen undankbar
für ihn sein, hat er erfahren. "Da kommen zwei Familien zusammen. Die
Leute gehen nicht auf Hochzeiten, weil sie tanzen wollen, sondern weil sie verwandt
sind, außerdem sind immer mehr Tanzmuffel unter jungen Gästen." Wobei er
auch schon auf einer Hochzeit gespielt hat, "bei der alle Generationen
völlig aus dem Häuschen waren". Es war ein italienisches Fest.
Er selbst bleibt nüchtern bis zum Ende. Trinkt nur Wasser, schließlich muss er
noch einpacken und zurück nach Darmstadt-Eberstadt fahren. Als die Hochzeit in
Alzenau wie vereinbart um eins endet, dampft die kleine Tanzfläche nicht
gerade. "Das hat mich aber auch nicht überrascht", sagt der Alleinunterhalter.
Zum Abschied spielt er wie so oft "Time to say goodbye", anfangs mit Alt-Saxophon, den Bocelli-Part singt er. Der Applaus ist groß. Unterhalten
hat Simon das wenig tanzbegeisterte Publikum dennoch glänzend. Gäste und
Brautpaar kommen in seine Ecke, bedanken sich, loben, kaufen sich seine CD.
Auch das kennt er schon. "Am Ende war es immer gut." Der Mann am
Keyboard lächelt.